Acht Handlungsfelder

In diesen Bereichen haben wachsende Gemeinden – unabhängig von ihrer Kultur, Theologie und Größe – eine nachweisbar höhere Qualität, als stagnierende oder schrumpfende. Sie beschreiben also die Bereiche, in denen inhaltliches Arbeiten besonders wirkungsvoll ist.


Bevollmächtigend Leiten

Es ist kein Druckfehler, dass es nicht „vollmächtige Leitung" sondern bevollmächtigende Leitung heißt. So klein der Unterschied der beiden Adjektive ist, so groß ist der Unterschied in der gelebten Praxis. „Vollmächtige Leitung" – das bedeutet ganz oft: Es gibt einen Leiter mit einer großen Vision. Und dieser Leiter braucht nun Mitarbeiter als Helfer, damit seine Vision praktisch umgesetzt werden kann. Viele weltbekannte Unternehmen sind so entstanden und manche glauben, dass sich dieses Prinzip auch auf die Gemeinde übertragen lässt.

Unsere Analysen zeigen jedoch, dass Leiter lebendiger und wachsender Gemeinden gerade nicht versuchen, ihre eigene Vollmacht allmählich zur Allmacht auszubauen, sondern dass sie genau umgekehrt vorgehen: Sie bemühen sich vor allem darum, anderen Menschen zu dem Platz im Leben zu verhelfen, der ihnen nach Gottes Plan zusteht. Sie befähigen, unterstützen, motivieren und begleiten die Menschen in ihrem Umfeld und wissen, dass Gott für jeden von ihnen eine individuelle Berufung hat.

Interessant ist dabei, dass die meisten dieser Leiter, die bei der Auswertung des Gemeindeprofils besonders gute Werte erzielen, einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Von ihnen lassen sich die grundlegenden Prinzipien des Leitens in der Regel aber wesentlich besser lernen, als von weltbekannten Gurus und Vorbildern.

 

Gabenorientierte Mitarbeit

Wenn es um Mitarbeit und Engagement geht, dann muss man immer auch eine zentrale Einsicht in den Mittelpunkt stellen: Gott hat jeden von uns ganz einzigartig geschaffen und mit besonderen Fähigkeiten begabt. Gott hat eine Idee für das Leben und unseren Platz darin – und er hat für jeden von uns ganz spezielle Aufgaben in seiner Gemeinde.

Daraus erwächst die Verantwortung, diese von Gott geschenkten Gaben zu entdecken und zu entwickeln. Mit ihnen sind wir ein Teil des großen Ganzen und dürfen uns in die Arbeit am Reich Gottes einbringen. Ein Prinzip, das sich simpel anhört, dessen praktische Anwendung jedoch kaum etwas unverändert lassen wird: Wenn wir als Christen unseren geistlichen Gaben gemäß leben, arbeiten wir nicht mehr aus eigener Kraft – der Geist Gottes arbeitet in uns. So können wir als ganz gewöhnliche Menschen außergewöhnliche Leistungen vollbringen.

Weltweit haben die meisten Christen – das ist ein Ergebnis unserer Untersuchungen – in der Gemeinde entweder überhaupt keine Aufgabe oder oft eine, die gar nicht zu ihren Gaben passt. Achtzig Prozent aller Christen, die wir weltweit befragten, wissen nicht einmal, welches ihre geistlichen Gaben sind. Welche Kraft könnte darin liegen, wenn wir gabenorientierte Mitarbeit zum Schwerpunkt unserer Gemeinden machen?

Leidenschaftliche Spiritualität

Beim Thema Spiritualität – und noch dazu beim Begriff einer leidenschaftlichen Spiritualität – sind wir ganz schnell bei den grundlegenden theologischen Diskussionen und bei den zentralen Argumenten, die belegen, dass unsere Auffassung dazu aus theologischer und biblischer Sicht die richtige ist.

Wir Menschen neigen leider viel zu schnell dazu, bei solchen Fragen zuerst einmal darüber zu diskutieren, warum unser Glas viel besser als alle übrigen Gläser dazu geeignet ist, um Wasser daraus zu trinken. Anschließend machen wir das Glas zum Kern unserer Betrachtungen, gleichsam zum heiligen Gral. Dabei ist aus Gottes Sicht nicht das Glas wichtig, sondern das lebensspendende Wasser darin.

Lebendige und leidenschaftliche Spiritualität ist keine Frage spezieller Ausdrucksformen oder bestimmter Musikstile, sondern die zentrale Frage nach unserer Antenne für Gott, nach dem Weg, auf dem Gott uns entgegen kommt und auf dem er uns ganz persönlich in unserem Leben begegnet Dieser Weg kann sehr unterschiedlich aussehen: sinnlich, rational, rechtgläubig, bibelzentriert, missionarisch, asketisch, mystischen, enthusiastisch oder sakramental.

Aktuelle Erfahrungen zeigen, dass es in jeder Gemeinde Menschen mit ganz unterschiedlichen spirituellen Antennen gibt – das gilt es zu entdecken.

Zweckmässige Strukturen

Interessanterweise stellt sich von allen acht Handlungsfeldern das Merkmal zweckmäßige Strukturen in vielen Diskussionen und Gesprächen als der bei weitem kontroverseste Aspekt heraus. Das mag zum einen an dem im christlichen Kontext nicht unbedingten gängigen Begriff der „Zweckmäßigkeit" liegen, zum anderen hat es auch viel mit unserer menschlichen Natur zu tun.

Dabei ist das dahinter stehende Konzept eigentlich ganz einfach. Wenn es um Formen und Strukturen geht, dann ist die wichtigste Frage: Erfüllen sie ihre Aufgabe, ihren Zweck? Strukturen sind niemals Selbstzweck, sondern immer nur Mittel zum Zweck.

Woher kommt dann also der Widerstand? Nun, er rührt schlicht daher, dass wir als Menschen dazu neigen, im Laufe unseres Lebens immer traditionalistischer zu werden. Traditionalismus heißt: So, wie ich die äußeren Formen seit langem gewohnt bin, so sollen sie auch für alle Zukunft bleiben.

Dabei geht es nicht um gute Traditionen, die sich auf den gemeinsamen Erfahrungsschatz vieler Generationen gründen und bei denen sich zeigt, dass Totgesagtes in der Postmoderne plötzlich wieder mit neuem Leben gefüllt wird, sondern darum, ob unsere Strukturen bewusst lebensfördernd sind und kreative Freiräume schaffen.

Inspirierender Gottesdienst

Es gibt wohl kaum einen Bereich, in dem die wichtige Unterscheidung zwischen Modellen und Prinzipien so häufig missachtet wurde und wird, wie beim Gottesdienst. In den letzten zwei Jahrzehnten versuchten sich viele Gemeinden darin, bestimmte Gottesdienstmodelle anderer Gemeinden zu übernehmen, oft ohne nach den grundlegenden Chancen und Grenzen ihres eigenen Umfelds zu fragen. Manche waren erfolgreich, viele sind gescheitert.

Unsere Auswertungen in vielen, sehr unterschiedlichen Gemeinden in der ganzen Welt zeigen, dass es ganz offenbar nicht auf eine bestimmte Sprache, Liturgie, Musik oder einen besonderen Kirchenbau ankommt, damit der Gottesdienst Menschen in ihrem Herzen berührt und ihre Seele für die Botschaft Gottes öffnet. Entscheidend ist ein anderes Kriterium: Ist der Besuch des Gottesdienstes eine inspirierende Erfahrung?

Wir stellen dabei nicht in Frage, dass es Gott selbst ist, der die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes mit seinem Heiligen Geist inspiriert. Allerdings können wir es den Menschen mit der Gestaltung unserer Gottesdienste unnötig schwer machen. Wir sollten immer wieder darüber nachdenken, ob unsere Gottesdienste authentisch von unserer eigenen Gotteserfahrung erzählen und ob sie das in einer Form und mit einer Sprache tun, die von Menschen unserer Zeit und unserer Umgebung verstanden werden.

Ganzheitliche Kleingruppen

Das ist für viele von uns ein großer Wunsch, eine Sehnsucht, eine Leidenschaft: Gemeinden, die Kreise ziehen, die ausstrahlen, die Fremden eine Heimat geben, die nach außen wirken, ja, die sich nach draußen wagen, um den Menschen da zu begegnen, wo sie sind, wo sie leben und arbeiten.

Was hat dieser Wunsch aber mit Kleingruppen zu tun. Auf der einen Seite: Kreise ziehen! Auf der anderen Seite: persönliche Gemeinschaft, Kleingruppen, Hauskreise. Genau in dieser scheinbaren Spannung liegt ein wichtiger Ansatz: Die Betonung auf Ganzheitliche Kleingruppen ermöglicht es der Gemeinde, im alltäglichen Leben der Menschen Kreise zu ziehen, weil dort Menschen Kirche erleben – und wiederum befähigt werden, mit ihrem Leben Kreise zu ziehen. Wo Gemeinde lebendig ist, da leben Kleingruppen – weil Menschen nicht nur den Sonntag, sondern auch den Alltag miteinander teilen.

Es kommt dabei nicht auf ein bestimmtes Konzept oder einen besonderen Ort für das Treffen der Gruppen an. Entscheiden ist die Frage, inwieweit sich Menschen mit ihrer persönlichen Lebenswirklichkeit und ihrem Alltag in diese Kleingruppen einbringen können. Dann kann auch der Gemeindechor oder der Kindergottesdienstmitarbeiterkreis zu einer ganzheitlichen Kleingruppe werden, in der Menschen ein geistliches Zuhause finden.

Bedürfnisorientiert Evangelisieren

Mit dem Begriff Evangelisation werden meistens Aktivitäten assoziiert, die in der Vergangenheit oft eher wie Verkaufsveranstaltungen wirkten: man versuchte, bisweilen sogar mit ziemlich manipulativen Methoden, andere Menschen zu einer Entscheidung für den christlichen Glauben zu drängen.

Unsere Analysen zeigen jedoch schon länger, dass das Geheimnis vitaler und wachsender Gemeinden darin liegt, das Evangelium auf eine Art und Weise weiterzugeben, die die Fragen und Bedürfnisse von Menschen, die dem christlichen Glauben fern stehen, ernst nimmt und ihnen den Glauben nicht als Produkt, sondern als Lebensentwurf nahe bringt.

In den großen Kirchen wird aktuell wieder häufiger von der „missionarischen Volkskirche" gesprochen – ein Begriff, der zwischen dem Anspruch, eine Botschaft zu haben und gleichzeitig Kirche für alle Menschen zu sein, nicht ohne innere Spannung auskommt. Während „missionarisch" dabei vielerorts noch immer die Vorstellung eines Weißen unter Eingeborenen konnotiert, hat sich mit „missional" aktuell ein Begriff etabliert, der sich vor allem im „Sein" als Entwurf eines Lebensstils und nicht in bestimmten Aktivitäten ausdrückt.

Da Terminologien immer Assoziationen hervorrufen und damit innere Bilder prägen, ist es vielleicht an der Zeit, solche neuen Begriffe zu suchen und mit Leben zu füllen.

Liebevolle Beziehungen

Jesus hat es ganz deutlich gesagt: „Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander! Ihr sollt einander lieben, wie ich euch geliebt habe. An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“(NGÜ) – und an anderer Stelle: „‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit deinem ganzen Verstand!‘ Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Ein zweites ist ebenso wichtig: ‚Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst!‘“(Luther84)

Die Liebe ist es, die unsere Beziehung zu Gott ausmacht und die Mitte unseres Miteinanders sein soll. Liebevolle Beziehungen, d.h. im Alltag glaubwürdig gelebte Liebe, verleihen einer Gemeinde eine sehr viel größere Ausstrahlungskraft, als alle Aktivitäten und die beste Öffentlichkeitsarbeit es vermögen.

Jede noch so gut geplante Veranstaltung für Kirchendistanzierte und Außenstehende ist bestenfalls mit einer Plastikblume zu vergleichen. Sie mag einer echten Blume zum Verwechseln ähnlich sehen, aber sie duftet nicht wie eine Blume. Wirkliche Liebe dagegen verströmt jenen geheimnisvollen Duft, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Dieses Merkmal spricht nicht gegen gute Planung und einladende Veranstaltungen, es soll uns aber immer wieder auf den Kern unseres Lebens zurückführen: unsere Beziehung zu Gott, zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen.

Da Terminologien immer Assoziationen hervorrufen und damit innere Bilder prägen, ist es vielleicht an der Zeit, solche neuen Begriffe zu suchen und mit Leben zu füllen.